Heute würde man wohl sagen: Kneipp ging viral. Und das ganz ohne Internet und Social Media. Sein Buch „Meine Wasserkur“ wurde zum Verkaufsschlager, immer mehr Menschen wollten von ihm persönlich behandelt werden – sogar aus dem Vatikan ereilte ihn der Ruf nach seinen Gesundheitstipps. Und inzwischen sorgen Kneipp-Verbände weltweit dafür, dass sein Wissen nicht vergessen geht.
Geheuer war Sebastian Kneipp der Personenkult um ihn bestimmt nicht. Und auch, dass Wörishofen von seinen Verehrer*innen und verzweifelt Leidenden regelrecht überschwemmt wurde, war ihm gar nicht recht – selbst wenn er keine*n von ihnen wieder wegschickte. Eine Mehrheit in Wörishofen haderte lange mit dem neuen Image als Kurort. Lediglich einige gewiefte Geschäftsleute schlugen Profit aus der immer größer werdenden Patientenschar mit Unterkünften, Andenken und nützlichen Gerätschaften wie Gießkannen für die Wasserkur im Eigenheim.
Die Idee, das Wissen von Kneipps jahrelangen Eigenstudien und Anwendungserfahrungen in Buchform festzuhalten, war denn auch mit der Hoffnung verbunden, das könnte so manche*n zur Eigentherapie bewegen und von einer Pilgerreise nach Wörishofen abhalten. Für Kneipp mochte dies der Hauptgrund sein; er ließ sich letztlich von Erzabt Maurus Wolter von der Buchidee überzeugen – allerdings erst, als dieser ihm einen Sekretär zur Verfügung stellte, der das Schreiben übernahm. 1886 wurde „Meine Wasserkur“ in einer Auflage von 500 Exemplaren veröffentlicht – und musste sogleich nachgedruckt werden. Bis heute wurde das Werk zigmal aufgelegt und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Nur verfehlte das Buch die gewünschte Wirkung, die Kurwütigen von Wörishofen fernzuhalten. 1892 wurden im sogenannten Kurbüchlein 12.175 Patient*innen verzeichnet, die bei Kneipp in die Sprechstunde gingen, wie Christian Feldmann in seiner Biografie „Sebastian Kneipp – der fünfzehnte Nothelfer“ schreibt. Kneipp war zu dieser Zeit bereits Anfang 70. Noch immer musste er sich aus Arztkreisen Schmähreden, Beschimpfungen und Verleumdungen anhören, etwa nachdem er vom Prinzregenten Luitpold von Bayern zur Hoftafel eingeladen worden war oder als sein Konterfei zu Werbezwecken auf Produkten verwendet wurde. Sein enger Mitarbeiter und Sekretär, Prior Bonifaz Reile, schrieb Kneipp eine kindliche Gutmütigkeit und Naivität in diesen Dingen zu. Geld war ihm offenbar auch nicht sonderlich wichtig: Für seine Behandlungen ließ er sich höchstens von gut betuchten Patient*innen bezahlen. Und die Einnahmen aus seinen Büchern soll er für wohltätige Zwecke, Renovationen und Bauten eingesetzt haben. Ein Vorhaben, das ihm besonders am Herzen lag, war das 1893 eröffnete Kinderkrankenhaus.
Entlastet durch seine Vertrauten – insbesondere Bonifaz Reile und Kneipps Badearzt und späterer Biograf Alfred Baumgarten – konnte sich der umtriebige Pfarrer auf Reisen begeben. Seine Popularität hatte ihm inzwischen eine Anhängerschaft in ganz Europa und darüber hinaus beschert. Alfred Baumgarten war sogar überzeugt (wohl etwas überschwänglich), dass Kneipp neben Bismarck und Papst Leo XIII. zu den drei bekanntesten Menschen seiner Zeit gehörte.
Letzteren traf Kneipp 1894 in Rom, als er Baumgarten zur Priesterweihe von dessen Bruder begleitete. Weil sich der Papst für die Wassertherapie interessierte, kam es zur Audienz. Und nicht nur das: Einige Tage später wurde Kneipp, der dem Pontifex gelegentliche morgendliche Oberkörperwaschungen empfahl, sogar ans päpstliche Bett gerufen, um die Anwendung selbst vorzunehmen. Und Kneipp behielt darüber hinaus recht: Seine während der Audienz gestellte Prognose, dass Leo XIII. noch acht bis neun Jahre zu leben hätte, traf ein. Der Papst starb neun Jahre später im Alter von 93. Jahren.
Kneipp selber zeigte noch im Jahr des Rombesuchs erste Anzeichen von Schwäche. Nur wenige Jahre später wurde ein Tumor im Unterleib entdeckt. Doch einer anderen Therapie als den von ihm seit jeher praktizierten Anwendungen verwehrte er sich. Er starb 76-jährig am 17. Juni 1897.
Kneipps Lebenswerk wurde jedoch konsequent weitergeführt. Noch im selben Jahr entstand der Kneipp-Bund, der heute als Dachverband von rund 600 Kneipp-Vereinen fungiert und etwa 160.000 Mitglieder zählt. Die internationale Kneipp-Bewegung ist seit 1962 in einem Verband zusammengeschlossen – mit Kneipp-Bünden aus ganz Europa und Einzelmitgliedern aus 40 Ländern. Und Ende 2015 wurde Kneipp eine besondere Ehre zuteil: Die UNESCO nahm das Kneippen auf in die Liste des Immateriellen Kulturerbes. Damit zeigt sich, dass Kneipps Gesundheitskonzept nicht verstaubt, sondern zur lebendigen Tradition geworden ist. Ein Konzept, das sich den heutigen Begebenheiten angepasst hat und genauso aktuell ist wie zu Kneipps Lebzeiten.
Lesen Sie Teil I und Teil II über das Leben von Sebastian Kneipp.
Bettina Bichsel schreibt und bloggt rund um Medizinisches, Gesundes und Kneipp-Spezifisches. Daneben arbeitet die diplomierte Journalistin als Texterin, Kommunikationsexpertin und Coach.