Oder: Wim Hof ist nichts für Warmduscher!
Er kann zwei Stunden im Eiswasser sitzen und lässt ehrgeizige Selbstoptimiererherzen höher schlagen. Er habe Sebastian Kneipps Grundprinzipien aktualisiert, sagt Wim Hof und vermarktet auch gleich die passende Methode dazu, die – wer hätte das gedacht? – „Wim-Hof-Methode“. So stellen wir uns die Frage: Lohnt dieser Sprung ins kalte Wasser?
Verglichen mit dem, was Wim Hof so treibt, ist die „Ice Bucket Challenge“* wirklich absoluter Kindergarten. Neben seinen Eiswasserbädern bewundern ihn seine Fans auch dafür, dass er – schlichtweg mit Shorts und Schuhwerk bekleidet – einen Marathonlauf nördlich des Polarkreises absolviert oder mit ähnlicher Ausstattung eine Klettertour in 7.400 Metern Höhe am Mount Everest unternimmt. Seine „Methode“, die im Wesentlichen aus einem Atemtraining, Meditationsübungen und Kältegewöhnung besteht, soll nicht nur das Immunsystem stärken, sondern auch gegen Arthritis, Diabetes, MS, Krebs und Depressionen helfen.
Also direkt auf zum Kälte-Guru?
Darüber hat auch der Autor Jörg Wipplinger der Online-Plattform „medizin-transparent.at“ nachgedacht. Die Webseite ist ein Service des Departments für evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Donau-Universität Krems und nimmt Gesundheitsmythen und Medienbeiträge aus dem Gesundheitsbereich unter die Lupe. Dabei führte der kritische Blick auf die Wim-Hof-Methode zu einem eher ernüchternden Ergebnis: Trotz gegenteiliger Behauptung gebe es keinerlei wissenschaftliche Belege es für positive gesundheitliche Auswirkungen. Weiterhin stellt Jörg Wipplinger fest, dass zwar einzelne kleinere Studien vorliegen, diese jedoch „mangelhaft und nicht aussagekräftig“ seien. So gab es im Jahr 2014 eine einzige randomisiert kontrollierte Studie mit 24 Teilnehmern, doch „ob Kältetraining einen gesundheitlichen Nutzen hat, kann diese Studie nicht einmal ansatzweise belegen.“ Die gute Nachricht: Weder in dieser Studie noch in einer weiteren Beobachtung traten Gesundheitsschäden oder Nebenwirkungen auf. Doch: „Das bedeutet jedoch nicht, dass Erfrierungen oder negative Folgen ausgeschlossen sind.“
All diejenigen, die schon bei der morgendlichen Dusche vor dem Kaltwasserhahn zurückschrecken, können also beruhigt durchatmen und sich überlegen: Wofür ist es eigentlich genau gut, in diesem „Schneller-höher-weiter-extremer“-Hamsterrad mitzulaufen und sich immer wieder neu vom alleraktuellsten, coolsten und ultimativsten Hype beeindrucken zu lassen?
Dann lieber Kneipp: Auch „cool“, aber mit gesundem Maß
Bekanntermaßen war natürlich auch Sebastian Kneipp grundsätzlich ein Freund kalter Bäder, die heute in der modernen Kneipp-Therapie in Teilanwendungen als Armbad, Fußbad, Sitzbad oder Halbbad durchgeführt werden, denn: „Der Kältereiz fordert eine aktiv gesteigerte Durchblutung zunächst des Gefäßsystems der Haut heraus, die sich nach der Tiefe fortsetzt.“ Dann heißt es bei Kneipp weiter: „Die erregende Wirkung auf den Stoffwechsel macht man sich bei gestörtem und verlangsamten Stoffwechsel (Fettsucht, Zuckerkrankheit, gichtisch-rheumatischen Zuständen) zunutze. (…) Kalte Bäder an den unteren Teilen des Körpers leiten Blut von Kopf und Brust nach abwärts; ebenso beobachtet man dies bei Leberblutstauung. Bei nervösen Menschen wirken die kleinen Teilbäder beruhigend und schlaffördernd. Bei Gesunden bewirken sie Auffrischung und Kräftigung.“ Anders als Wim Hof kommt Kneipp hinsichtlich der Länge eines Kältebades zu deutlich anderen Empfehlungen. „Die Dauer der Anwendung richtet sich nach dem Eintritt der Reaktion bzw. nach dem subjektiven Wärmegefühl, etwa 6 – 20 Sekunden.“ (!) Ein Schmerzempfinden sieht er als klares Zeichen, das Bad zu beenden.
Wenn dies nach Kneipp tatsächlich die empfehlenswerte Größenordnung ist, tja, dann könnte man doch sogar als bekennender Warmduscher der ganzen Idee noch einmal eine Chance geben …
*Ice Bucket Challenge
Die ALS Ice Bucket Challenge war im Sommer 2014 ein viraler Social-Media-Hype, bei dem dazu aufgefordert wurde, sich einen Kübel mit Eiswasser über den Kopf gießen zu lassen und ein Video dieser Aktion ins Netz zu stellen. Ursprünglicher Hintergrund war eine Kampagne, um auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam zu machen und Spendengelder für die Forschung zu akquirieren. An der Aktion beteiligten sich zahlreiche Prominente wie unter vielen anderen beispielsweise auch Helene Fischer, Rihanna, Tom Hanks oder Bill Gates.
Peter Kaprolat ist als Redakteur und Ideengeber für Tourismusverbände, Reiseanbieter und Gesundheitsdienstleister tätig – unter anderem auch für die Kneipp Premium Class.
Mit seiner Kommunikationsagentur 7eins unterstützt er Unternehmen bei deren digitaler Ausrichtung.